Grensing

Business Technology Consulting GmbH

Vereinfachen und Integrieren oder Integrieren und Vereinfachen

2017-02-28

Das SAP R/3 Release 4.0 brachte 1998 eine Funktionalität mit, deren Nutzer man wahrscheinlich an einer Hand abzählen konnte: die Möglichkeit, ein SAP R/3 System in ein separates Finanz- und ein Logistiksystem zu trennen. Das markierte für mich den "Sündenfall", der Ausgangspunkt für die Strategie der nächsten Jahre war:

Das ursprüngliche Produkt, das durch SAP R/3 verkörpert wurde, war Integration. Die einmalige Leistung, sämtliche Unternehmensprozesse in einem gemeinsamen Datenmodell zu vereinheitlichen, den Anwender zur Harmonisierung zu zwingen und diese Prozesse in einem hochkonfigurierbaren und erweiterbaren System benutzerfreundlich einer Vielzahl von Unternehmen zur Verfügung zu stellen, war ausschlaggeben für den Erfolg, der einher ging mit dem Nutzenpotenzial, das Unternehmen dadurch realisieren konnten. Dieses Produkt wurde im Grunde über viele Jahre aufgegeben oder an den Rand gedrängt zu Gunsten neuer Funktionalität und neuen Technologien, die jedoch nie den Kern einer neuen Architektur bildeten, sonden lediglich gleichsam einer Zwiebel als neue Schichten auf bestehende Funktionalität gestülpt wurde.

Kurzfristig war das gut für den Unternehmenserfolg von SAP. Anwender lieben neue Funktionalität, auch wenn dies zu Lasten der Integration geht. Entwickler haben es auf separaten Plattformen einfacher, da die für ein integriertes Datenmodell erforderliche steile Lernkurve entfällt.

Und so wurden CRM, SRM, SCM, EWM, TM, etc. nicht nur separate Module, sondern auch separate Systeme auf separaten Datenbanken. Miteinander verbunden durch Schnittstellen, die für den Anwender mitunter erheblichen Wartungs- und Supportbedarf bedeuten.

Das Erscheinen des In-Memory-Datenbanksystems HANA schaffte die Grundlage, diese Entwicklung umzukehren. Wir sollten nicht davon ausgehen, dass dies eine selbstverständliche Entwicklung war. Es sind wohl eher personelle Veränderungen im Management von SAP die hier auschlaggebend waren.

Und so kommt es nun, dass die meisten der bislang separaten Module ihren Weg zurück ins Zentralsystem finden.

Eine weitere Neuerung hat bei S/4-HANA Premiere: es ist das erste Mal in der Produktgeschichte von R/3-ERP-ECC-S/4 dass Funktionalität entfernt wird! Während bislang immer dazugebaut wurde, wird jetzt auch abgebaut. Das betrifft zunächst nur einmal Transaktionen, die bereits vor nahezu 20 Jahren durch modernere Versionen ersetzt wurden, wie z.B. für Warenbewegungen, zur Bestell-, Liefer-, und Materialstammpflege. Darüber hinaus entfallen auch eine ganze Reihe von Funktionalitäten konzeptbedingt: so ist beispielsweise keine eigenständige Kunden- und Lieferantenstammdatenpflege mehr möglich, da dies über den Business Partner erfolgt. Die fakturabasierte Bonusabwicklung wird ebenfalls eingestellt und durch den Konditionskontrakt und die Agenturabwicklung zur Abrechnung ersetzt.

SAP geht aber noch einen Schritt weiter: Funktionen, die durch neue Module doppelt umgesetzt sind: z.B. Lagerverwaltung und Transportmanagement sollen mittelfristig ausschließlich nur noch durch die neue Funktionalität angeboten werden - LE-TRA und LE-WM werden nicht mehr neu eingeführt werden und bestehende Nutzer sollten sich Gedanken über die Migration machen (wozu Hilfsmittel angeboten werden).

Unter der Haube trägt die durch HANA begünstigte Vereinfachung des Datenmodells zur Reduktion der Komplexität bei: durch die spaltenbasierte Datenbankstruktur ist es nicht mehr notwendig, für Kopf- und Positionsdaten separate Datenbanktabellen zu benutzen. Die pro Position redundanten Kopfdaten werden durch die Datenbank selbst wieder eliminiert. Das wird beim ein oder anderen Programmierer noch etwas zu Kopfschmerzen führen, aber langfristig ist das der richtige Weg.

Darüber hinaus entfällt beim Business Warehouse die komplexe Datenhaltungs- und Transformationslogik, da bei HANA ein Reporting aus den Ursprungsdaten realisiert werden kann: ein echter Fortschritt!

Wir sehen: mit S/4-HANA kehrt SAP zurück zum ursprünglichen Produktversprechen von R/3. Meiner Meinung nach ein längst überfälliger und richtungsweisender Schritt, der jetzt von den Kunden angenommen und in Nutzenvorteile umgesetzt werden muss.